Es ist nach 21 Uhr – ich bin noch nicht müde und geh noch auf einen kurzen Schlummertrunk in das Café/Bar-Lokal unten am Eck zwei Straßen weiter. Ich bin keine 5 Minuten da, zufrieden an der Bar in Gedanken versunken meinen Tag Revue passieren lassend und meinen Amaro del Capo genießend, da ertönt es schon – von umwerfendem Bier- und Tabakgeruch begleitet – neben meinem Ohr: „Ich spendier´dir nen Drink, Kleine……“
Ich habe nun – laut meiner inneren Vorschau dessen, was gleich passieren wird – drei Möglichkeiten der Reaktion, die sich szenisch vor meinem inneren Auge ausbreiten:
Reaktionsvariante 1: „Kann man hier als Frau nicht einfach nur sitzen, alleine etwas trinken und in Ruhe gelassen werden? Nein, immer muss so ein Gockel daher stolzieren – in dem Glauben, die Auserwählte habe nur auf ihn gewartet… Sag, hab ich irgendwas getan, das dir Interesse signalisiert hat? … Falls ja, sag es bitte damit ich es verstehen und in Zukunft ändern kann… aber nein danke… meinen Alkohol bezahl ich mir schon selber…“
- Der Casanova vor mir verliert in Sekunden das Lächeln aus seinem Gesicht… ich kann es quasi weggleiten und auf den Boden fallen sehen. Wie leicht es für mich nun wäre, da noch einmal ordentlich drauf rumzutreten. Er wirkt irgendwie erstarrt und murmelt ein erahnbares „Sorry“ vor sich hin. In diesem plötzlich gestarteten Selbstgespräch höre ich ihn in Bruchstücken reden, während er sich von mit wegdreht, um seines Weges zu gehen: „Was bildet die sich ein? Die soll sich nicht so anstellen…. Geht ja auch schon auf die 50 zu… Das ist sicher eine Lesbe!“
Reaktionsvariante 2: „Nein danke, ich möchte gerne allein sein und bin an keinem Kennenlernen oder Plaudern interessiert… wünsche dir dennoch einen schönen Abend!“ … und noch bevor der grinsende Optimist mit seiner Reaktion ansetzen kann, ergänze ich: „Und nein, ich will nicht überredet werden und ich werde es mir auch nicht anders überlegen….“ Und setze ein lautes und bestimmtes DANKE nach.
- Ich sehe eine Spur von Zorn in seinen Augen aufflackern gemischt mit einem Hauch von Stolz, welcher ihn auch veranlasst zweimal verächtlich mit der Nasen zu schnauben. Seine Würde vor sich hertragend verschwindet er wortlos aus meinem Blickfeld.
Reaktionsvariante 3: „Ah gut, dass du mich ansprichst, setz dich doch zu mir. Ich dachte schon, es klappt heute gar nicht mehr… du musst wissen, ich arbeite an der Uni als wissenschaftliche Mitarbeiterin und schreibe dazu auch an meiner Doktorarbeit… eigentlich will ich damit anfangen … hab so eine Forschungsfrage im Kopf, aber noch total unausgereift… ganz einfach gesagt, geht´s um die Frage der Selbstwirksamkeit von Männern … speziell um Männer, die augenscheinlich nicht gerade die attraktivsten sind und auch in der Erscheinung, im Auftreten eher „durchsichtig“ und uninteressant sind… wie kommen solche Männer in den Mut einfach eine fremde Frau anzusprechen…? Weißt, ich finde das ja echt spannend… ich würde gern herausfinden, wie unscheinbare, langweilige Männer – wie du eben… Ja genau… Wie hast du dich motiviert, mich als eine völlig fremde Frau einfach so anzusprechen… Ist es der steigende Grad des Alkoholisiert Seins? Würdest du sagen, dass du dir Mut angetrunken hast, bevor du mich zu einem Drink eingeladen hast? … Ach…? Wie…? … du musst schon gehen…? Das ist aber echt Schade… hab mich schon gefreut, dass ich ein Forschungsopfer gefunden habe…. Ich muss bei meinem Thema für die Doktorarbeit endlich weiter kommen… ich hätte sogar einen Fragebogen dabei… wirklich nicht? Schade… Aber danke trotzdem…“
- Einfacher Abgang des Mannes- keine weitere Beschreibung notwendig
Das wäre wirklich mal spannend aus einer teilnehmenden Beobachtung heraus, in Wechselwirkung mit dem aktuellen Stand der Forschung, eine Forschungsfrage zu entwickeln. Sie könnte in etwa in die Richtung gehen:
„Das nächtliche Kontaktverhalten von Männern in Bars, Cafés oder Clubs steht in welcher Wechselwirkung mit Vorerfahrungen, der eigenen Selbstwirksamkeitserwartung und dem Konsum von Alkohol?